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Dietrich Feldhausen


Der Kaufmann von Damaskus

    Gott der Vater hat ein Weib gehabt vor allen
Dingen. Wenn er kein Weib gehabt hätt‘, so
hätt‘ er den Sohn nit gehabt. Also wär der
Heilig Geist auch nit. Das beweist, dass sie die Frau Gottes gewesen ist.
   

Paracelsus: Salve Regina

  Wiehl, 1999  
  Für E. B., die Möwin mit dem Fischgrätmuster  

1 Der Entschluss

Wie lang hab ich dem Elend jener Welt,
die selber einst ich schuf in Schöpferlust,
von ferne zugeschaut in Wut und Schmerz!
Da hatte ich auf einem Winkelstern,
belegen in bescheidner Galaxie,
und zwar am Rande taumelnd irgendwo,
Beding geschaffen für ein Wesen, das
imstande wäre, meine Wenigkeit
in seinem dumpfen Kopfe zu erkennen.
Zwar ehrten mich in vielerlei Gestalt
die meisten dieser ersten, dummen Menschen,
verliehen mir nach eben ihrem Bild
mal männliches, mal weibliches Geschlecht,
so Götter und auch Göttinnen erzeugend,
die sich nach Menschenart verliebten und
vermischten miteinander und mit Menschen,
Heroen, Geister, Glück und Unglück schaffend.
Doch wär es falsch, nur Blendwerk drin zu sehn:
Ich war durchaus auch Zeus, Jupiter, Thor,
der eine Gott trug nur verschiedne Namen.
Ich hatte ein’gen wenigen mein Nichts,
dem einen in versunkner Meditation,
dem anderen im Dornbusch offenbart,
dem dritten zeigte mich Naturgewalt,
dem nächsten schick ich meinen Gabriel...
Doch liessen sie zu sündigen nicht ab,
vergingen sich in skrupelloser Form
an ihresgleichen und der Mitnatur.
Ich wusste lange, dass ich handeln musste,
doch fand dafür so recht kein Anlass sich,
bis in Gestalt des röm’schen Imperators
mir Konkurrenz in unerhörter Form,
bedrohlich, ausserordentlich, erwuchs
(denn göttlich schien die Fülle seiner Macht,
Vergottung forderte er für sich selbst),
weshalb ich mich entschloss, die Anmassung
der römischen Cäsaren durch ein Kind,
das ich mit einem Menschenweibe zeugte,
zu überwinden und in Staub zu treten.
Da ich die hohle Anmassung gewahrte,
mit der die Römer ihre weisse Haut
zum Massstab machten des Normalen, Guten,
beschloss ich, eine Eritreerin,
feingliedrig, klug, braun, koptischen Geblüts,
zur Mutter meiner Heilandin zu machen –
denn dass ein Mädchen spiel der Rettrin Rolle,
war für mich ausgemacht, seit ich gesehn,
wie letzte Frauenzuflucht, Troja, ward
von Männerwut der Erde gleich gemacht.
Doch ausserhalb des röm’schen Reichs geboren,
würd ihre Wirkung stark verzögert sein,
weshalb ich Gabriel bat, er solle auch
am Ostrand der Gebiete suchen, die
sich Rom mit der Kohorten Eisenmacht
brutal erwarb und hielt in Sklaverei.
Dorthin begab er sich, mein liebster Diener,
und fand im galilä’schen Nazareth
ein junges Weib mit Namen Fatme, das,
gebürtig aus dem Lande Memnons, hier
als Sklavin einem griech’schen Händler diente.
Ich stieg hinab ins Land der Syrer in
des Kaufmanns Ibrahim würd’ger Gestalt,
der aus Damaskus scharfe Klingen bringt,
und also ritt ich auf dem Schiff der Wüste
hinein nach Nazareth durchs hohe Tor.

2 Nazareth

Alldort begab ich gleich mich auf den Markt
und legte aus das reiche Sortiment
von Hobeln, Feilen, Raspeln, Messern, Beiteln
aus allerfeinstem Damaszener-Stahl,
geschmiedet schichtweis und gehärtet in
den klaren Wassern unsres Libanon.
Schon griff der erste Kunde gierig nach
dem schönsten Hobel, den ich ausgestellt,
da hör ich meinen Nachbarn, der Gewürz
und Spezereien vieler Länder anbot, sagen:
„Mit einer solchen Massnahm würde Rom
im ganzen Reich nur Feinde sich erwerben,
ganz abgesehen davon, dass ich sie
für völlig undurchführbar halt, mein Freund.“
Der andre aber, offenbar ein Römer,
jedoch ein Spitzbub nach dem Angesicht,
erwidert drauf mit ganz durchtriebner Schläue:
„Ich selber, Achmed, bin doch ausersehn,
in Nazareth die Zählung durchzuführen.
Und da mich guter Lohn dafür erwartet,
will ich schon dafür sorgen, dass es klappt,
hab viele Helfer, deren Helfershelfer
sowie ein Heer von Schnüfflern angestellt,
damit sich keiner vor dem Zensus drücke,
auch du nicht, Ahmed, dessen Zimt und Pfeffer
der beste ist, den man hierorts bekommt.“
Worauf ihn Ahmed fragte, wann denn mit
der Massnahme aus Rom zu rechnen sei,
der Römer aber, dessen Nam nicht fiel,
soweit ich mich erinnre, hat gesagt,
drei Vierteljahre werde man noch brauchen,
um diese Schätzung, die die erste sei,
gehörig und auch wirksam anzuschieben.
Er sprach vom Heer der Schreiber, der Beamten,
die dafür ausgebildet werden müssten,
den Mengen von Papyrus unerhört,
den aus dem Schilf des Nil herauszupressen
ganz hoffnungslos sei, weshalb man begänne,
aus Lumpen alter Kleider eine Masse
in Bottichen zu kochen, die sich dann
zu gut beschreibbarn Blättern lasse walzen,
und von den Hektolitern Tinte, die
mit Hilfe von Galläpfeln werd gewonnen.

3 Der Markt

Allwissend bin ich zwar, wie jeder weiss,
doch um ein echter Erdenmann zu sein,
liess die Allwissenheit ich dort zurück,
wo ich als ungeheure Negation
im Herzen meines Kosmos trauernd wohne,
den ich vor Jahrmilliarden schäumen liess
hervor aus einer Zelle meiner Kraft.
Jetzt aber wollt ich Mann sein, nichts als das,
gehören zu des Volkes froher Rotte,
wollt ungetrübt von der Allwissenheit,
die mir das Dasein mehr als g’nug beschwert,
erfahren, was es heisst, ein Mensch zu sein.
Nicht einmal die Erinnerung daran,
dass ich der erste und der einz’ge war,
hab ich dem Kaufmann Ibrahim gelassen,
aus Sorge, dass ich meine Rolle sonst
nur trüge wie ein schlechtsitzend Gewand.
So war ich denn von dem, was die zwei Männer,
da miteinander sprachen, überrascht:
ein unerhörtes Unterfangen schien
es mir, die Einwohner des Riesenreichs
fiskalisch zu erfassen und zugleich
in einem Kraftakt ohnegleich zu zählen.
Erneut sprang mir ins Aug Augusti Allmacht:
stand nicht alleine mir das Zählen zu?
„Verzeih mir, edler Kaufmann Ibrahim,
wenn dich mein Fragen hindert, fortzulauschen
jenem Disput dort hinten, dem ich wohl
auch sollte meine Aufmerksamkeit schenken,
doch fesselt mich viel mehr die Frage, ob
ich diesen Hobel wohl bezahlen könnte,
der kraftvoll und genau mir scheint gemacht.“
So wandte sich an mich mein erster Kunde,
ein braver Mann im Burnus, nicht mehr jung,
jedoch sehr lebhaft und mit warmen Augen,
die Hände nervig, blauer Venen Netz
malt’ auf den Handrücken ein kräft’ges K.
Ich nannte ihm den Preis, der schien ihm hoch,
auch hatte er so viel nicht bar dabei,
wollte schon gehn und nächstens wiederkommen.
Da drückt ich ihm den Hobel in die Hand,
mein Schicksal, das der Welt bewusstlos formend,
und wünschte ihm zu seiner Arbeit Glück.
„Ich dank Euch, Herr,“ erwiderte er fromm,
„und lad Euch für heut abend in mein Haus.“
Da er mein Zögern sah, beschwor er mich,
ich möchte wirklich kommen, bis ich ihm,
worum er mich so herzlich bat, versprach
und mir das Haus, das er mir nannte, merkte.
Bald drängte sich an meinem Stand der Pulk
wohl aller Schreiner dieser Mittelstadt,
wo gute Möbel man aus Zedernholz
mit Kunst verfertigt, Möbel für das Haus,
doch jene Möbel auch, die man gebraucht,
wenn man die Wohnung in der Erd bezieht.
Doch während sie noch schwatzten, feilschten, prüften,
trat unvermittelt auf mich zu ein Mann,
in dem ich an dem kant’gen Bullenkopf,
den blauen Augen und dem harten Mund
sogleich hab Aristoteles erkannt,
den griech’schen Kaufmann, der aus Smyrna stammt,
bei dem ich meine Fatme finden würde.
„Verzeiht mir, Ibrahim,“ sprach er mich an,
„wenn ich Euch bitte, mir das Sortiment,
das Ihr hier feilbietet, komplett zu geben,
und gegen bar; kein Skonto, kein Rabatt!
denn ein Geschäftsfreund in Ägypten rechnet mit
vermehrtem Umsatz, wenn der Zensus kommt,
allein schon wegen vieler tausend Pulte,
die hergestellt, gehobelt werden müssen
für die Legion von zählenden Beamten.“
Er wirft mir zehn Denare auf den Tisch,
zwei seiner Männer räumen schnell ihn leer,
und trotz des Jammerns all der andern Kundschaft
stand meine Bank im Handumdrehen leer.

4 Stimmen

„Was müssen wir in diesem Land erdulden!“
spricht einer der Geprellten, „und wie lang
werden wir rechtlos noch die Opfer sein
für röm’sche Willkür, griech’sche Gier nach Geld?
Wie lange noch soll Gottes eignes Volk
so ganz entrechtet Sklavendienste tun?“
„Schon bald,“ erwidert drauf ein andrer, „wird
er den Messias, uns erlösend, senden,
wenn wir in Demut nur geduldig harrn.“
„Und aus dem Samen Davids soll er sein,“
mischt sich ein Dritter ins Gespräch nun ein,
„ein neuer König, der uns eint und die
verfluchten Fremden aus dem Lande treibt!“
„O jemine,“ hab ich bei mir gedacht,
„was werdet ihr wohl sagen, wenn ihr seht,
dass euer Retter eine Rettrin ist
und nicht von Davids, sondern Memnons Stamm?“
Jedoch begab ich mich sogleich zum Haus
des reichen Griechen voller Spannung, ob
mir Fatme dort wohl käme zu Gesicht.
Befürchtend, dass ich käme mit Beschwer,
liess er verleugnen sich vorerst einmal.
Ich setzte mich geduldig in den Hof,
sah seinen Leuten bei der Arbeit zu
und hörte, wie von ihnen einer sich
gar heftig über seinen Herrn beschwerte.
„Er ist ein grausamer, gier’ger Tyrann,
der uns behandelt wie sein Eigentum,
wenn er nur mit der Braue zuckt, erschrickt
ein jeder hier, gar nicht zu reden von
den armen Sklavinnen, die jedem seiner
gelüste müssen prompt willfährig sein.“
„So ist nun mal das römische Gesetz,“
erwidert kenntnisreich ihm sein Kumpan,
„es kennt den Frei’n, der alle Rechte hat,
sowie den Unfrei’n, der ganz rechtlos ist.
Doch gibt es noch das Recht unsrer Natur:
wer uns missachtet, den verachten wir,
lustlos getane Arbeit hat nur halben Wert.
Das weiss auch Aristoteles, weshalb
er in der letzten Zeit mehr Menschlichkeit,
Bereitschaft, zu verstehen, zeigt denn je.“
„Der Grund ist nur die Erithräerin,“
erwidert drauf der erste unmutig,
„die ihn mit ihrer Anmut hat bezirzt
und täglich ihm von neuem einprägt, dass
ihn Grausamkeit mache bei ihr verhasst.
Ich bete jede Nacht zur Mutter Isis,
dass Fatme sie in ihrer Stellung stütz
und uns erhalte viele, viele Jahre,
denn ohne sie...“ Hier hörte ich nichts mehr,
weil ihre Arbeit beide Disputanten
rief in das schatt’ge Lagerhaus hinweg.

5 Aristoteles

Sehr bald kam dann ein Sklave, lud mich ein
Zu folgen ihm ins prächt’ge Megaron,
Das mit durchbrochnen Fenstern war geschmückt,
Durch die das Licht in feinen Strahlen drang,
Um auf Keramik, rötlichschön, zu spielen,
Auf Teppichen von wundervoller Kunst -
Und auf der Schulter einer zarten Frau,
Die, von der Fülle ihres schwarzen Haars
Beinah erdrückt, das sie geflochten trug
Zu einem schweren Zopf auf ihrem Rücken,
Mit Aristoteles zu Tische lag,
Mir huldreich winkend, mich dazuzulegen.
Wie er bemüht war, dieser Grieche, der
Gefährtin beste Bissen abzuteilen
Und zärtlich sie ihr vorzulegen! Doch
Verschmähte sie das meiste, was ihn sehr,
So schien es mir zumindest, hat bekümmert.
„Wenn aus Damaskus du, o Ibrahim,
Wie meinem Sklaven du gesagt hast, kommst,“
Hub Aristot’les, mich zu prüfen, an,
„so kennst du sicherlich Halef Terif,
Den Teppichhändler aus der Jaffa-Gasse.“
Wie sehr hab ich in diesem Augenblick
Von Herzen mir Unmögliches gewünscht:
Ich wüsste wieder alles wie vordem!
Jedoch auf Menschenmass zurückgeschraubt,
Sah auf die Künste ich mich angewiesen,
Die solche Lag uns anzuwenden zwingt.
„O ja, den Halef!“ rief ich fröhlich aus,
„das ist mir doch ein wahrhaft guter Mann!
Ich halte ihn von allen Teppichhändlern
Für den bei weitem allerschlausten, denn
Vor kurzem noch sah einen Keschan ich
Ihn teuer als ‘nen Isfahan verscherbeln!“
Verblüfft sah Aristoteles mich an:
„Das hätte er, der doch der rechtlichste
Von allen Händlern ist, die mir bekannt,
Tatsächlich ausgeführt? Nun denn, warum
Sollt nicht auch er zolln schwerer Zeit Tribut?“
Erleichtert atmete ich auf, jedoch
Ein Lidschlag nur von Fatmes Brunnenaugen
Zeigte mir an: Sie hatte mich durchschaut!
Hatt, dass ich eine Maske trug, erkannt,
Und war deshalb bemüht, unser Gespräch
Auf weniger Verfängliches zu lenken,
Frug mich nach meinen Kindern, worauf ich
Leichthin und gleisnerisch erwiderte:
„An diese Wunde, Fatme, rühre nicht,
Denn bisher habe ich noch nicht gefreit,
Doch soll sich daran bald schon etwas ändern.“
„Und wer, wenn ich neugierig fragen darf,
Ist die erwählte Überglückliche?“
„Mein Diener sagte mir, er habe ihr
Mein Werben, meinen Antrag überbracht,
Doch habe ich kein Ja von ihren Lippen,
Weshalb ich ihren Namen noch verschweig.“
Nachdenklich und errötend schaute nun
Die Sklavin Fatme nieder in den Teller,
Und mochte wohl an jenen Boten denken,
Der ihr gesagt vom Kaufmann Ibrahim,
Von seiner Liebe, die entstanden sei,
Als Fatmes Anmut und gerechten Sinn
Ein Reisender gerühmt, der zu ihm kam.
Nachdem ich nun als Anlass des Besuchs
Meine Beschwerde vorgetragen hatte,
Dass Aristoteles durch Aufkauf aller Ware
Die ganze Stadt mir feindlich hab gestimmt,
Beschenkt’ er lachend mich mit einem Krug,
Auf dem ich selber mir entgegentrat,
Was mir den bittern Mund vorerst verschloss.
Ich ging mit Dank. Doch als ich Abschied nahm,
Ergriff Verwundrung mich und auch Verdruss:
Kein Bissen war mir angeboten worden
Und auch des Weines Labsal blieb mir fern.

6 Der Krug

Zurückgekehrt zur Karawanserei,
Versenkt ich mich ins Ansehn des Geschenks.
Das erste Bild auf der Amphora Grund,
Es zeigte mich als Zeus, den Semele
Zu ihrem Unheil wollt leibhaftig sehn.
Ach, hätte ich mich ihr, der schönsten wohl,
Die jemals meine Leidenschaft erweckt,
Als Nichts gezeigt – und nicht als Energie!
Verbrannt ist sie an meines Blitzes Kraft,
Das Nichts, es hätt sie aufgesogen wohl,
Doch wiederhergegeben später auch.
Das nächste Bild am Rande zeigte mich,
Wie ich den Knaben in der Wade nähre,
Den ich als Blitz mit Semele gezeugt,
Der als Dionysos dann wuchs heran.
Sein Leib war Brot, sein Blut geharzter Wein,
Ein Heiland war er, diese Welt zu retten,
Und ihn zu feiern, erfand Griechenland
Herber Tragödie feierlichen Akt,
Versank jedoch in Rausch und Völlerei,
So dass ins Gegenteil umschlug sein Kult.
Alsdann nehm ich Gestalt an eines Stiers
Und trag Europen durch des Meeres Flut,
Verein’ge mich mit ihr und leg den Grund
Für die Kultur, die einst die Welt beherrscht.
Auch Io, die als Kuh das Land durchirrt,
Weil Heras eifersücht’ger Zorn sie traf,
Alkmene auch, der in Gestalt ich des
Geliebten Gatten nahen musste, weil
Sie jeden anderen hätte verschmäht...
Ach, Herakles, du grösster meiner Söhne,
Wie furchtbar hast du leiden müssen, eh
Für würdig ich dich hielt, ein Gott zu werden.
Auch Kastor und sein Bruder Polydeukes,
Die ich als Schwan aus Leda hab gezeugt,
Auch Helena, verhängnisvolle Tochter,
Derselben Mutter Kind und lieb mir noch,
Weshalb ich ew’ges Leben ihr geschenkt,
Das sie als Hur verbringt in Asiens Häfen...
Ach, Reue und Beschämung fassten mich,
Als ich bedachte, wie gar oft ich schon
Mit Menschenweibern mich vermischte, ohne
Dadurch der Menschheit wirklich gutzutun.
Auch reut’ es mich, dass Fatme ich belog,
Als ich ihr sagte, ich sei kinderlos.
Dann wieder fasste grosse Sorge mich:
Was hatte es wohl zu bedeuten, dass
Mir Aristoteles den Krug geschenkt?
Ob Fatme von der Werbung ihm gesagt?
Ob er durchschaut gar hatte, wer ich bin?

7 Fatme

Noch dachte ich darüber nach und sog
An einer Nargileh voll Pfefferminz,
Da sah ich eine braune, schlanke Hand
Beiseite schieben meiner Kammer Teppich,
Hereintrat eine tief Verschleierte,
Die sich alsbald zu meinen Füssen warf
Und diese Worte voller Demut sprach:
„Der du dich Ibrahim zu nennen liebst,
Wer du auch immer seist, o hör mich an!
Warum du auch um einer Sklavin Hand
Durch deinen Boten voller Güte warbst,
Ich fleh dich an: O, bring mich fort von hier,
Befrei mich aus der Knechtschaft bitterm Los!
Zwar hab ich Aristoteles gezähmt,
Doch hat er bisher eines jeden Weibs
Sich mit Gewalt nach kurzer Frist entledigt.
Und noch etwas: Ich lieb ihn einfach nicht,
Ertrag voll Ekel seine Zärtlichkeit...
O bringe mich, ich weiss es nicht, wohin,
Doch fort von hier, aus seinem Machtbereich!“
Ich war, ja, ich gesteh es, überrascht!
Ich bat sie aufzustehn, bot ihr zu trinken.
Die Wendung war in Gabriels klugem Plan
Nicht vorgesehn gewesen, weshalb ich
Sogleich beruhigend zu Fatme sprach:
„Schon morgen will ich mit dir, Schönste, fliehn,
Nicht länger sollst du Sklavendienste tun.
Doch kehre jetzt zu deinem Herrn zurück,
Damit er nicht zur Unzeit dich vermisst.
Ich aber rüste mit Kamelen und
Mit Reitern, Trägern mich und Knechten aus.
Verkleide dich als Mann, als einen, der
Im Karawanendienste ist geübt.
So zieh ich mit dir unauffällig fort
Und führ dich in Damaskus in mein Haus,
Dem du, wenns dir gefällt, in Zukunft sollst
Vorstehen als des Ibrahim Gemahl.“
Sie weinte, weil sie gern geblieben wär,
Doch überzeugte ich sie mit Vernunft
Und küsste sie zum Abschied auf die Stirn.
Kaum war sie fort, stieg ich zum Hof hinab,
Wo man um Waren und um Tiere feilschte.

8 Gabriel

Der Zwischenfall, er hatte mich bewegt,
Gefüllt das Herz mit mir ganz neuem Fühlen.
Empörung spürte ich, doch Mitleid auch,
Entschlossen war ich fest, mein Wort zu halten.
Mit einem Händler aus Armenien ward
Ich grade einig um ein Dromedar,
Da trat in goldbestickter, roter Tracht
Ein bärtiger Sidonier auf mich zu
Und bat mich auf zwei Worte um die Ecke.
Von heft’gem Heimweh wurde ich ergriffen,
Als ich ihn sah, an seiner Seite schritt
Und seine Stimme hörte wohlbekannt:
„Bei aller Ehrfurcht, grosser Namenloser,“
Hub Gabriel, er wars, zu sprechen an,
„ich muss Euch tadeln, denn der Plan, den Ihr
Der holden Fatme angeboten habt,
Ist aus verschiednen Gründen undurchführbar.
In seinem Hause in Damaskus lebt
Der wahre Ibrahim ganz ahnungslos,
Wär kaum erfreut, zu sehen sich verdoppelt.
Sein Bild zu nutzen und das Original
Schnöd zu beseit’gen, wär nicht unser Stil.
Das zweite ist: Es soll ja die Heilandin
Aufwachsen als die Tochter eines Manns,
Der als ihr Vater gilt und sich dafür
Zu halten allen Grund hat. Deshalb ists
In keiner Weise opportun, dass Ihr
Den Lebensbund von Fatme und dem Griechen
Zu sabotieren sucht durch ihre Flucht.“
„Ich danke dir, mein lieber Gabriel,“
Erwiderte ich drauf und nickte klug,
„es scheint mir gar nicht leicht, ein Mensch zu sein
Und unsern Plan in Menschliches zu hüllen.
Doch kommt mir plötzlich rettende Idee:
Vielleicht dass sie, von mir geschwängert, die
Bereitschaft und die Kraft entwickelt, um
Bei dem Gehörnt-Verhassten auszuharren?“
Da lächelte mich Gabriel staunend an
Und schüttelte den Kopf ob so viel Keckheit.
Dann aber sagte er: „Was mich verdriesst,
Ist, wenn ich offen reden darf, o Herr,
Dass Fatme euch mit Liebe nicht erfüllt.
Es war ein Fehler, dass ich sie für Euch
Hab ausgesucht, statt dass Ihr selbst es tatet.“
Entrüstet hab ich ihm erwidert: „Wie,
O Gabriel, kommst du darauf, ich liebte
Dies wunderschöne Wesen nicht? Du hast
Bei deiner Wahl die Richtige getroffen,
Die schönste, klügste, unglücklichste Frau,
Die ich aus Ehefron befreien will.“
„Wenn Ihr sie liebtet,“ sagte Gabriel drauf,
„Ihr hättet in die Obhut ihres Herrn
Sie herzlos nicht zurückgeschickt, wo sie
Nur Leid und Unrecht, Grausamkeit erwarten.“
„Ich glaube nicht, dass Aristoteles
Sie leiden lässt, dafür erschien er mir
Viel zu verliebt und auf ihr Glück erpicht,“
Erwidert ich, doch er entgegnet drauf:
„Willst du sie sehn, wie es ihr jetzt ergeht?“
Und streckte seinen Ring mir hin, in dem
Nach einer Weil’ das Antlitz Fatmes mir
Entgegendämmerte, doch wars verzerrt,
War eine einz’ge Wunde, tränennass,
Und Peitschenhiebe sah ich ihren Leib,
Den nackten, ungeschützten, klatschend treffen,
Und schreien hört ich Aristoteles:
„Nun sag schon, wer er ist und was er will,
Was du bei ihm gesucht, äthiop’sche Hur!“
„Wie konnte ich sie gehen lassen, sie
Der Rachsucht dieses Krämers überlassen?
Ich muss ihr helfen, muss sofort zu ihr!“
Das rief ich aus, jedoch Freund Gabriel
Verstellte mir den Weg und hielt mich auf:
„Hast du vergessen, Kaufmann Ibrahim,
Dass du für heut im Haus des Schreiners bist
Verabredet, das in der Strasse liegt,
Die Wasserstrasse heisst nach einem Brunnen?
Gehe dorthin, so wird es besser sein,
Ich kümmre mich um Fatme. Sei getrost!“

9 Die Gasse

Wie furchtbar ist das Menschenleben, da
Es lebbar nicht, ohn dass man schuldig wird.
Zwar habe ich es selbst so eingerichtet,
Damit nicht überheblich werd der Mensch,
Doch selber jetzt in einen Mann verwandelt,
Wars bitter mir, dass ich in Schuld geriet.
Das Bild der zarten Fatme, wie sie sich
Vor Schmerzen wand unter der Peitsche, ach,
Des schlanken Leibes, rote Tränen weinend,
Ich wurde es nicht los und spürte gar,
Wie grause Lust es mir bereitete,
Weshalb ich meine Brust mit harter Faust
Bearbeitet, als durch die Gass ich schritt,
Die Wassergass, so nannte sie der Schreiner.
Es lagen auf den Treppen zu den Kellern
Gestalten dunkel, kaum zu sehn bei Nacht,
Und einer hab ich auf die Hand getreten
- oder den Fuss? Ich weiss es nicht genau.
Es richtete vor mir sich drohend auf
Ein Finsterling, in dessen Antlitz ich
Nur Zähne sah, die wölfisch er gebleckt.
„Kannst du nicht aufpassen, wohin du trittst
Mit deinen dummen, dicken, schweren Füssen?“
Sprach er voll Groll. Ich war erbittert,
Mehr über mich als über ihn, jedoch
Erwidert hab ich ihm die Worte: „Was
Musst du auch deine dicken, dummen Pratschen
Hier auf den Weg, wo andre gehen, legen?“
Schon hatte ich von eben diesen Pratschen
Erst rechts dann links an Hals und Ohr ‘nen Hieb,
Und dieser Schmerz, ich sag es offen, hat
Gelindert meiner Scham und Reue Wut,
So dass ich mich zu wehren unterliess.
„Was nimmst du meine Schläge einfach hin?“
Brummt drauf der Mensch, und ich erwidere:
„Mich schmerzten Qualen, die ein anderer
Hat einer andern zugefügt, doch nur,
Weil ich in meiner Ahnungslosigkeit
Sie hab zum anderen zurückgeschickt.“
Er hörte mir nicht zu, sprach murrend dann:
„Was kann denn ich dafür, dass ich hier lieg?
Mir hat das Haus der Gläub’ger weggepfändet,
Seither hab ich kein Dach mehr überm Kopf
Und muss mich einem Lebensstil bequemen,
Den ehemals auch ich verachtet hab.“
Ich liess ihn reden und erfuhr sehr bald,
Dass er ein Schmied war fein gereckter Klingen,
Mit Namen Jonas aus des Japhet Stamm,
Dass Aristoteles der Gläub’ger hiess,
Der ihn vertrieben aus des Heimes Schutz.
Ich sagte ihm, dass ich ein Kaufmann sei,
Der eine Karawane rüste aus,
Um fort mit ihr ins Zweistromland zu ziehn.
Damaskus schien nach Gabriels Worten mir
Als Ziel der Reise nicht mehr angebracht.
Begeistert schlug er ein, als ich ihn frug,
Ob er in meinem Sold mich wollt begleiten.
Ich nannte ihm die Karawanserei
Und meinen Namen; doch den kannte er
Und wurde zögerlich. „Bist du nicht der,
Der heut komplett an Aristoteles
Verkaufte alle seine Ware? Steckst
Mit ihm du unter einer Decke nicht?“
Bevor ich mich rechtfert’gen konnte, fiel
Uns eine Rotte an von Gaunern, die
Unser Gespräch wohl hatten still belauscht.
Der eine schwang ein Kummet, wie man es
Dem Arbeitspferde auf den Nacken legt,
Hoch in die Luft, von wo es niedersauste
Und mir den Kopf zerschmettert hätte, wenn
Nicht eine Hand, auf die Geäder malt’
Ein kräft’ges K, mich hätt zurück- und in
Ein Haus gezogen, wo des Kienes Licht
Mich warm umfing, ein goldner Augenschmaus.

10 Der Schreiner

In ihrem Licht erkenne ich den Mann,
Dem morgens ich den Hobel hab geschenkt.
Er zeigt sich um mein Wohlergehn besorgt,
Er bietet Wasser mir zum Waschen an,
Reicht mir ‘nen feuchten Schwamm, die Stirn zu kühlen.
„Es ist auf unsern Gassen nicht geheuer,
Sobald es dunkel wird, treibt sich Gesindel
Aus aller Herren Länder dort umher.“
Mit solchen und mit andern Worten schien
Er um Verzeihung mich zu bitten für
Das Ungemach, das mich betroffen hatte.
Ging mir voraus in einen Raum, der war
Recht kärglich eingerichtet, wenn ich ihn
Verglich mit Aristoteles’ Gemächern.
Von Wandschmuck konnte keine Rede sein,
Kein einz’ger Teppich deckt’ gestampften Lehm,
Doch eine Truhe stand da, ja, die war
Aus einem Zedernstamm mit Kunst geschnitten.
Aus ihr holt nun mein Gastgeber hervor
Aus Leinen eine Decke, waidgeblaut,
Irdener Teller salzglasierte Pracht,
Auch einen Krug, der zeigte keine Bilder,
Jedoch gezackten blauen Blitz sowie
Des Runden weichgeformte Wohlgestalt.
Dann bat er mich, ihn zu entschuldigen,
Ich aber folgte seinem flinken Schritt
Hinab die Treppe, die sich steiler wand,
Und stand alsbald in des gewölbten Kellers
Mit Erdeduft gefülltem Dämmerraum.
Es waren Fächer in die Wand gelassen,
So breit wie hoch und tief, daraus nahm er
Hervor die Milch, sie war hier sanft gekühlt,
Sowie der Sahne leckere Erquickung,
Auch Wein und Käse waren hier gelagert,
Oliven ruhten goldengrün in Öl.
Auf einem Brett trug er davon hinauf,
Soviel wohl Männer zwei des Abends brauchen,
Um unter mancherlei Gespräch daran
Genussreich sich zu sättigen. Mein Wirt
Sprach einen Spruch, bevor das Brot er brach,
Der seine schlichte Frömmigkeit bezeugte.
Dann assen wir, und sanfte Freude schlich
Besänftigend ins aufgewühlte Herz.
Mein Wirt jedoch, gesättigt von dem Mahle,
Ergriff das Wort und sprach wie folgt mich an:
„Wir Galiläer haben manchen Grund,
Euch Syrer zu beneiden, da ihr doch
Euer Geschick in eignen Händen habt.
Gar zu gewaltig ist der Druck von Rom,
Das uns wie Tiere zwingt und niederhält.
Doch du erschienst schon heute morgen mir
Nicht allzu froh. Was drückt dich nieder? Sprich!“
„Genau dieselben Sorgen,“ sagt ich drauf,
„die auch euch Galiläer niederdrücken.
Formal zwar ist mein Syrien noch frei,
Doch lastet Roms Bedrückung auch auf uns.
So dürfen Damaszener-Klingen wir
Im Reiche nur veräussern und nur an
Römische Käufer, und, viel schlimmer noch,
Roms Sklavenmarkt beraubt auch Syrien
Der besten Söhne und der schönsten Töchter,
Denn unersättlich ist der röm’schen Herrn
Gelst auf Manneskraft und Mädchenfleisch.
Er aber, der darob das Szepter schwingt,
Kaiser Augustus, er zeigt Neigung gar,
Zum Gott sich aufzuschwingen dieser Welt,
Was frevelhaft und eine Sünde ist.“
„Ja, es ist eine Zeit,“ sagt bieder drauf
Mein Gegenüber und schenkt Wein mir ein,
Rot wie Granat und auf der Zunge sanft,
Jedoch beim Schlucken wie geschmälztes Harz,
„‘s ist eine Zeit, in der das Einfachste,
Das Selbverständlichste nicht einfach ist.
Ich hab noch keine Kinder, und ich frag
Mich täglich neu: Ist es verantwortbar,
Gedankenlos in eine Welt zu zeugen, die
Auf immer schlimmres Ziel sich zubewegt?“
„Du bist verheiratet!“ erstaune ich,
„wo ist dein Weib? Versteckst du es vor mir?“
Er lacht und sagt: „Nein, nein, mein lieber Freund,
„sie trifft mit Freundinnen heut abend sich.
Und ausserdem ist sie mir nur verlobt.
Aus eben jenen Gründen zöger ich,
Die Ehe, die versprochen, einzugehen.
Bekomm ich einen Sohn, was tu ich, wenn
Ihn Rom zu den verhassten Fahnen ruft?
Wirds eine Tochter, o wie gross der Schmerz,
Wenn man sie presst zu jenen Diensten, die
Nur auszusprechen sich die Zunge sträubt.“
Dies sagend, schlug die Händ er vors Gesicht,
Und dicke Tropfen quollen durch die Finger.
Ob dieser Mann, der so vernünftig schien,
Zu überspannt-vorweggenommnem Klagen
Und Jammern neigte wie ein altes Weib?

11 Die drei Mirjams

Als ich mich fragte, ob, in welcher Form
Den armen Kerl zu trösten mir obläge,
Stieg mir ein Lachen in der Kehle auf,
Das ich als ungehörig unterdrückte,
Doch wusste ich, ich sag es offen, nicht,
Was ich auf seinen Kummer sollt erwidern.
So war ich gar nicht unfroh, als im Flur
Die Haustür ging und eine Stimm ertönte,
Die kehlig-angenehm schlug an mein Ohr:
„Es ist dasselbe doch mit ihnen immer:
Nur weil wir unbemannt nach Hause gehen,
Sind wir das Freiwild ihres Jagdgelüsts!“
Drauf lachte es in heiterer Entrüstung
Aus einer andren, höh’ren Frauenkehl:
„Habt ihr gesehen, wie der Dicke guckte,
Als er den Hühnerfuss hielt in der Hand?“
Drei Mädchen hört ich durcheinander lachen
Und dann mit tiefrer Stimm die dritte sagen:
„Für diesmal ist es glimpflich abgegangen,
Ein guter Geist, ist mir, hat uns beschützt.“
„Ich habe ihn gesehen, diesen Geist,“
Erwiderte die kehlig-angenehme Stimme,
„saht ihr ihn nicht, den bärtigen Sidonier
In seiner goldbestickten, roten Tracht?
Vor ihm ist der Beläst’ger Meute wie
Vor einem Abgrund, der sich plötzlich öffnet,
Wenn ich es recht erfasst, zurückgescheut.“
Mit diesen Worten traten sie herein,
Und eine Woge goldner Heiterkeit
Ergoss sich über unsre Männerwelt.
„O, du hast einen Gast!“ rief kehlig aus
Das erste Mädchen, und es stellte sich
Sogleich als „Mirjam“ mir mit Anmut vor.
Ich grüsste sie als dieses Hauses Herrin,
Jedoch sie lachte und verwies darauf,
Dass auch die andern beiden Mirjam hiessen:
Die eine streng mit einem dunklen Blick,
Dass man vor ihr mit Achtung sich verneigte;
Die zweite, fröhlich braune Augen wälzend
Über den Wangen, die wie wie Rosen blühten.
Die erste aber voller Anmut und
Mit einem schmalen Lächeln, dessen Spott
Die Lippen nur im fernsten Winkel kräuselt,
Erfragte freundlich, wer ich sei, sie könne
Sich nicht erinnern, dass sie mich schon kennte.
Der Schreiner stellte mich mit Namen vor
Und rühmte mich als besten Werkzeughändler,
Worauf die Ernste ohne Umschweif rief:
„Du also bists, der Aristoteles,
Den wir wie keinen hassen in der Stadt,
Weil er ein Koofmich ist und Profiteur,
Zudem ein Frauenhasser, der geschickt
Als Liebe ausgibt sein Zerstörungswerk;
Ihm also, diesem Feistling, hast du dich
Mit deiner Ware listig angedient?
Gedenkst du ihn noch mehr zu unterstützen,
Verfolgst auch hier noch seinen Zweck?“ Wie hab
In diesem Augenblick ich mich verflucht!
Den einen Plan nur im verdummten Kopf,
Hatte ganz Nazareth ich mir verprellt.
„Es war ein Fehler,“ gab ich offen zu,
„doch hab ich eilig Boten ausgeschickt,
Sie sollen aus Damaskus Nachschub holen,
Und morgen schon will auf dem Markte ich
Mit einer Ladung frischen Werkzeugs glänzen!“
Die Mirjam mit den Rosenwangen rief:
„Da müssten dir, du Kaufmann Ibrahim,
Schon Boten zur Verfügung stehen, die
Mit Engelsflügeln nach Damaskus fliegen,
Zurückkehrn ebenso und im Gewand
Das Werkzeug tragen, wie Zitronen trägt
Ein Mädchen vor sich im geschürzten Rock!“
Und in Gelächter brachen alle aus,
In das ich wohl nicht völlig ohne die
Leicht sauertöpfische Verwundrung stimmte,
Die hier den Herrn der Engel durft befallen.
Jedoch der Schreiner fühlte sich bemüssigt,
Zu meinen Gunsten folgendes zu sagen:
„Ihr platzt in in unsern ernsten Männerkreis
Ein wenig gar zu überraschend, und
Tut grade so, als wäret ihr allein
Der Mittelpunkt der Welt.“ „Das sind wir auch,“
Erwidert’ drauf die Ernste, und die Augen,
Sie glühten ihr so wonniglich im Kopfe,
Dass ich den Blick davon nicht wenden konnte;
„sind wir denn nicht als Evas Töchter die,
Die euch und uns, den Wahrheitsapfel essend,
Zu wahren Menschen erst gemacht, indem
Wir gegen ein Verbot uns aufgelehnt,
Das nur erlassen war, damit mans brach?“
„So glaubst du nicht,“ frug ich in ernstem Ton,
„dass Eva sündigte, als sie das tat?“
„Wenns eine Sünde war,“ erwiderte
Die Rosenwangige, „so war es wohl
Die unumgänglichste, notwendigste,
Die unser Menschentum begründende,
Und damit Wohltat nur und nur Gewinn!“
Dem widersprach der ersten süsse Kehl,
Indem sie sagte, was mit Vorbehalt
Ich hier zitiere, denn verloren war
Ich in den Anblick ihres Wonnemunds:
„Ich sehne mich so oft in jene Welt
Zurück, in der wir ohne Sünde waren,
Weil alles, was wir taten, schuldlos war,
Gesteuert von den Trieben der Natur -
Wie schuldlos heute noch die Tiere sind,
Da Gut und Böse es für sie nicht gibt.
Wir aber, o, wir können böse sein,
So bös und schlecht, dass aus der Liebe wir
Des Gottes, der uns schuf, fallen heraus.
Das ist dann Sünde, und es schaudert mich,
Bedenke ich, dass ich nicht ohne Fehl.“
Wie gerne hätte sie ihr Schöpfergott
An dieser Stelle schon umarmt und ihr
Versichert, dass sie seiner Liebe nie
Verlustig gehen solle! Doch es sprach
Gewichtig seine Worte wägend jetzt
Der Schreiner folgendes: „Beruhige dich,
O Mirjam, meine liebe, kluge Braut!
Um uns zu helfen, dass wir ihm genügen,
Hat Gott gegeben uns strenges Gesetz,
Und dadurch hat er uns zu seinem Volk,
Das über alle andern wert er schätzt,
In väterlicher Güte umgeschaffen.“
Jetzt aber brauste meine Mirjam auf
(so darf ich sie seit diesem Abend nennen):
„O, wieviel Unfug steht in dem Gesetz,
Von dem ich nur die zehn Gebote achte,
Der Rest ist nichts als eitler Priestertrug!
Ach, käme einer doch auf diese Erde,
Der des Gesetzes Knechtschaft höbe auf,
An seine Stelle setzte Gnad und Liebe,
Denn sie allein sind würdig meines Gotts!
Und welche Anmassung, wenn wir behaupten,
Die Liebe Gottes gälte allein uns!
Ich sehe keinen, ja, gar keinen Grund,
Warum er seine Liebe ausgerechnet
Dem Volk der Juden vorbehalten sollte,
Das doch nicht schlechter und nicht besser ist
Als irgendeins der vielen hundert Völker,
Die diesen Erdenkreis ringsum bewohnen.
Das Angebot der Gnade und der Liebe,
Es müsste sich an alle Völker wenden,
Denn anders kann ich Gott nicht denken als
Den Allerbarmer des Menschengeschlechts.“
Empört erhob der Schreiner sich vom Sitz,
Die Stirn gerunzelt und die Arbeitshand,
Auf das die Adern zeichneten ein K,
Erhoben gegen Mirjams kühnes Wort.
Mir aber wollte, was sie sagt’, gefallen,
Ja, es erinnerte mich meiner selbst
Und gut, so schien mir, hatte sie erfasst
Das Wesen meiner Grenzenlosigkeit,
Weshalb ich ebenfalls von meinem Platze mich
Erhob, um meinen gastlich frommen Freund
Besänftigend aufs Kissen z’rück zu drücken,
Wobei ich diese Worte sprach: „Wie kann
Es dich, mein lieber Gastgeber, entsetzen,
Wenn Mirjam mir, dem weitgereisten Syrer,
Die Türe öffnen möcht zu deinem Gott?
Was wünscht sie sich denn anderes, als allen
Das Angebot von Gottes Lieb zu öffnen,
Statt dass sie weiterhin als Privileg
Allein verbleibe dem hebräschen Volk!“
„Ich kann nicht dulden,“ sagte er darauf,
„dass hier in meinem Haus gelästert wird
Gegen des Mose heiliges Gesetz!“
Worauf die beiden andern Mirjams lachten,
Die Ernste aber sprach mit dunkler Stimm:
„So halte du zuerst einmal dich dran
Und nimm die Frau, die dir ist angetraut,
Zu deinem Weib und mache ihr ein Kind!
Schon lange lebt sie jetzt in deinem Haus,
Du aber zwingst ihr eine Keuschheit auf,
Die ein Gesetz nicht will, das uns gebeut,
Wir sollten fruchtbar sein und uns vermehren.“
Da schlug mein Freund erneut die Hände sich
Vor das Gesicht und dicke Tränen quollen
Ihm durch die rot verarbeiteten Finger.

12 Die Botschaft

In diesem Augenblicke polterte
Es heftig an des Hauses eichne Tür.
Erschrocken sahen wir einander an,
Der Schreiner aber war wohl froh, dass ihn
Der Lärm hinausrief, und schon bald kam er,
Gefasst jetzt wieder ganz, zurück mit jenem
Sidonier in der goldbestickten Tracht,
Den die drei Frauen mit Bewundrung grüssten.
Ja, ich bin eitel, weiss es allzu gut,
Doch kämpfe ich dagegen stetig an,
Verpasste mir deshalb geringe nur,
Ja, schmächtige Statur im Gegensatz
Zu Gabriel, der keine Grenzen kennt:
Wie ein Titan schritt prachtvoll er einher,
Und als ich sah, wie meine Mirjam ihm
Das Leuchten ihrer dunklen Augen schenkte,
Schalt ich mich einen Dummkopf innerlich,
Dass ich der erste und der grösste bin,
Jedoch als Kümmerling hier nur erschien.
„Ich war zu Gast bei Aristoteles,“
Hub er zu sprechen an mit Tuba-Bass,
„und freut mich seiner üpp’gen Gastfreundschaft,
Als plötzlich aus dem inneren Palast
Ein Schreien und Gelärm drang an mein Ohr.
Schon kurz darauf ward fürchterlich und schön
Hereingetragen aufgebahrt die Frau,
An der die Sklaven wie an keiner hingen:
Frau Fatme, deren Leib zerfetzt war von
Grausamer Peitsche. Aristoteles
Beteuerte vergebens seinen Schmerz
Und dass nicht er vergossen hab ihr Blut;
Vor meinen Augen wurde er von der
Rasenden Sklavenmeute hingemacht,
Die jetzt noch plündernd zieht durch den Palast.
Ich aber will nur Menschenpflicht erfülln,
Und bitte dich, o Sohn von Nazareth,
Für den Ermordeten um einen Sarg.“
„Soll Fatme unbegraben bleiben?“ fiel
Die ernste Mirjam mit der tiefen Stimm
Ihm hier ins Wort, jedoch er lächelte
Und sagte nur: „Für sie ist schon gesorgt!“
Nicht ohne mir ermut’gend zuzunicken,
Folgt’ in die Werkstatt Gabriel dem Schreiner,
Die beiden andern Mirjams wollten die
Gelegenheit, im Schutze des Sidoniers
Nach Hause zu gelangen, nutzen und
Verliessen uns, den beiden Männern nach,
Die, einen Schragen schulternd, in die Nacht
Hinaus zum Haus des Griechen sich verfügten.

13 Die Nacht

In meinem Kopfe wirbelten Gedanken
Und Fragen viel, die ich nicht stellen konnte:
Was war mit Fatme? War sie wirklich tot?
Ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln,
Und Gabriels Wort, für sie sei schon gesorgt,
War leicht zu deuten, denn die Sklaven würden
Die Frau, die ihnen beinah heilig war,
Mit Sicherheit nicht unbestattet lassen.
Dann war der Plan, mit ihr die Heilandin
Der Welt zu zeugen, endgültig begraben.
Und hatte Gabriel nicht wahr gesprochen,
Als er bemerkt’, dass keine Liebe ich
Für diese Frau empfände? Mitleid ja,
Vielleicht auch Zärtlichkeit. Was Liebe war,
Das wusst ich erst, seit Mirjam ich gesehen,
Gehört den Kehllaut ihrer Stimme und
Die Kühnheit ihres Geistes hatt erfasst.
Wie gerne hätte ich der jungen Frau,
Die vor mir stand in ihrer Anmut Glanz,
Jedoch verlegen war genau wie ich,
Erneut der Kehle Wohllaut abgelockt!
Genau genommen, hatte ich jedoch
Zu bleiben keinen Grund mehr. Ich erhob
Mich deshalb anstandsvoll vom Platz:
Geschäfte unaufschieblicher Natur
Beriefen mich, hab ich gesagt, zurück
Ins Zimmer meiner Karawanserei,
Zumal ich morgen schon in aller Frühe
Aufbrechen wollt ins ferne Zweistromland.
Sie nickte stumm. Ich ging zur Tür. Sie gab
Die Hand mir dort, und diese Hand verweilte
In meiner lang und mit Ergebenheit,
Ich mochte sie nicht lassen, hielt sie fest,
Und meinen Druck erwiderte sie sanft.
„Wenn du noch bliebest, Kaufmann Ibrahim,
Bis mein Gefährte kommt von seinem Gang,
Was sicherlich kaum eine Stunde dauert,
So müsste ich, ein schwaches Weib, allein
Im dunklen Haus nicht seiner Rückkehr harren.“
Wie sie das sagte! Röte übergoss
Das Antlitz ihr, und auf den Wangen tanzte
Die holde Scham der Frau, die weiss, wie leicht
Missdeutbar ist ein solches Angebot,
Weshalb sie denn sogleich noch fügte an:
„Ich bitt dich um Verzeihung, edler Syrer,
Dass meine Sicherheit ich deinem Schlafe
Voranzuordnen wagte. Bitte geh,
Ich wünsche dir Erfolg und gute Reise!
Doch eines muss ich dir noch sagen: Was
Ich heut zu meines Bräutigam Entsetzen
Gesprochen hab, quoll aus dem Herzen mir,
Doch hätte ichs zu sagen nie gewagt,
Hätt mich dein kühnes Auge nicht ermutigt.“
Da hab ich sie entzückt wohl angelacht,
Die Arme aufgetan, in die sie flog,
Getragen sie zurück in jenen Raum,
Wo sie von meinem Schoss sich weg nicht rührte
Und, meinen Bart mit schlanken Fingern strählend,
Dem holden Töchterchen vergleichbar, das
An seinen Vater sich vertraulich schmiegt,
Die Worte lispelte: „O Ibrahim,
Seit langem bist du unser erster Gast,
Und gerne säh ich, bliebst du unser Freund.
Wie einsam ist mein Bräutigam! Er wirkt
Den ganzen Tag in seiner Werkstatt, und
Am Abend zieht er sich mit heil’gen Schriften
Zurück in seine Kammer. Das Gespräch
Mit mir – er sucht es nie, und gar von Liebe
Kann keine Rede sein, was ihn betrübt
Mehr wohl als mich, denn ich dien gerne ihm
Als Schwester oder Töchterchen, nicht Weib.
Ach, könntest du ihm sagen, dass ich rein
An seiner Seite bleiben möchte, rein
Wie eine Lilie, die der Mond betaut,
Denn ist nicht Reinheit unser höchstes Gut
Und macht uns Gottes würdig immerdar?“
Bei diesen Worten blickte sie so fromm
Mir in die Augen, dass beinahe ich
Mich hätt verraten, etwa antwortend:
„O Mirjam, ja, wie keine andere
Bist meiner, Allersüsseste du, würdig!“
Ich spürte ihres Busens sanften Druck,
Und ihren Mund, wie er den meinen suchte,
Und während sie noch leidenschaftlich raunte:
„O Reinheit, strikte Reinheit, dir allein
Will ich mit Leib und Seel ergeben sein.
O sag es ihm, du lieber, holder Mann,
Der wie kein andrer mich verstehen kann!“
Glitt ihr das blaue Kleid von blanker Schulter,
Umfing sie mich mit schlanker Arme Kraft,
Erwiderte mein Küssen voller Brunst,
Und ineinander waren wir verloren,
Verschmolzen selig ohne alle Kunst.

14 Lob der Liebe

Ich hatte Herkules dereinst gezeugt,
Alkmene in Gestalt des Gatten nahend,
Doch dieses Maskenspiel begrenzte auch
Die Lust, die ich erfuhr: Sie galt nicht mir.
Als Semele ich mich im Blitz gezeigt,
Da war ich ich, jedoch zerstörte ich
Das arme Weib mit meinem Anblick, und
Entsetzen unterlief den Lustgewinn -
Vorwegnehmend die mörderische Freude,
Die einst die Frucht des Akts, Dionysos,
Verbreiten würde übers Erdenrund.
Als mit Europa ich den Minos zeugte,
War ich für sie ein Stier, und ihr Geschrei
Erfüllte mich mit Schaudern, denn es galt
Nicht Mensch, noch Gott, es galt dem wilden Tier.
Und Leda, die das Dioskurenpaar
Mir einst gebar, sie liebte einen Schwan;
Als sie das Schwesternpaar von mir empfing,
Das wie kein andres Unglück brachte über
Die Männer – Helena und Klytämnestra -
Hat sie erneut sich dargebracht dem Schwan,
Der Schönheit huldigend, jedoch nicht mir.
Zum ersten Mal in meiner Mirjam Armen
Ward ich erkannt von einem Menschenweib;
Zwar war ich Ibrahim, nicht wahrhaft ich,
Doch schimmerte ich wohl durch seine Haut,
Denn Mirjam, lallend in der Wonne Taumel,
Rief mich bei Namen: „O mein Gott, mein Gott,
Mein süsser Schöpfer, ja, umfange mich,
Erfülle mich mit deiner Kraft, o ja,
Mach einen Sohn mir, der wie du ist, ja,
Erfülle mich mit dir, o Ibrahim!“
„Er sei, dein Sohn, er sei, er sei, er sei!“
Hab ich, sie liebend, freudig aufgejauchzt,
Und ich war ich und habe nicht zerstört
Den holden Gegenstand süssen Begehrens,
Verborgen g’nug, um sie zu schützen, war
Zugleich erkennbar ich – und ward geliebt!
O welche Leidenschaft erfüllte mich
Für Mirjams kühnen, ungezähmten Geist,
Und wie ihr Körper zu dem meinen passte -
Ich war voll Glück und unbändigem Jubel,
Und meine Seele, ihrer selbst vergessen,
Pries ihn, der, als er die Natur ersann,
Zugleich erfand der Liebe mächt’gen Trieb,
Der Pflanzen, Tiere, ja, das All beseelt,
In dem sich Galaxien sanft durchdringen,
Dabei errötend wie von Scham und Lust.
Zieht denn nicht jeder Stern den andern an
Und strebt nur fort, um nicht zurückzufallen?
Ist nicht von Sehnsucht nach Vereinigung
Durchdrungen selbst kalter Kristalle Welt?
Und hat nicht Salomo, der grosse König,
Der wie kein anderer mich hat erkannt,
In seiner Frauen Vielzahl mir gehuldigt?
O dieses Küssen, Seufzen, Suchen, Öffnen,
O diese Fassen, sich bei Namen nennen,
Dies Halten und Berühren, Staunen, Buhlen,
So frei von Ekel, der uns sonst natürlich -
Noch heute will mir scheinen, dass ich nie
Hab Grösseres und Edleres ersonnen
Als zarter Liebe leidenschaftlich Spiel.

15 Die Karawane

Aus rotem Staub hob sich am Morgen drauf
Der Sonne Ball – nur scheinbar, wie man weiss,
In Wirklichkeit ists ja die Erde, die
Nach Osten drehend, abfällt vor der Sonne –
Da fand sie mich bereits mit dreissig Tieren
Und dreissig Treibern sowie Gabriel
Auf unserm Weg nach Nain, von wo wir durch
Das Tal des Jordan wollten nach Engeddi,
Das an dem Ufer jenes Meeres liegt,
Das man das Tote oder Salz’ge nennt,
Von dort nach Thamar und nach Kades dann,
Die Wüsteneien Sinaïs durchquerend,
Auf einem Pfad, den jener Mann erkundet,
Der auf dem Weg ins Haus des Schreiners mich
Aus meiner Traurigkeit gerissen hatte
Mit einem Schlage seiner harten Hand.
Doch jetzt schon wurde karg und karger der
Bewuchs mit Pflanzen, nur hartes Gesträuch
Gedieh auf Steinen, zeichnend unsern Weg.
Ich aber war noch ganz verloren in
Das Liebesabenteur der letzten Nacht
Und brauchte nur den Oberlippenbart
Zu nähern meiner Nas, um süss den Duft
Von Mirjams holdem Mund darauf zu schnuppern,
Was ich denn auch, auf dem Kamele schwankend,
Erinnrungsselig immer wieder tat.
Doch dann ergriff mich plötzlich Sorge, ob
Ich wiederum ein unschuldiges Weib
Gebracht in Schwierigkeiten, Fatme fiel,
Die ausersehene und nunmehr tote,
Mit düsterer Gewalt mir aufs Gemüt,
Und ich hub an und fragte Gabriel,
Warum er trotz der ungeheuren Fülle
Von Mitteln, die ihm zur Verfügung standen,
Den Tod der Eritre’rin nicht verhindert.
„Um Aristoteles zu strafen, wars
Der schnellste Weg, es so zu machen,“ sprach
Mein erster Diener, reitend neben mir.
„Gerade wie beim Schachspiel hab ich die
Figur geopfert für des Königs Matt.
Da dir an ihr nicht sonderlich viel lag
Und sie von ihren schweren Peitschenwunden
Kaum je genesen wäre, war es doch
Ein Akt der Gnade, nicht der Grausamkeit,
Dass ich das Zeitliche sie segnen liess.“
In diesem Augenblick hab ich gehasst
Den ersten und den besten meiner Treuen.
Begriff er nicht, dass er mit Fatmes Tod
Noch mehr an Kohlen häufte auf mein Haupt?
Ach, während ich der Lieb mich überliess,
Hat jene von uns ausersehne Frau
Dafür so furchtbar büssen müssen! Gift,
Verderblichstes, wer goss dich in die Welt?
„Wo hat man die Unglückliche bestattet?“
Frug ich im vagen Wunsch, an ihrem Grab
Gebet und frommen Totendienst zu tun -
Ich war ja Ibrahim mit Haut und Haar
Und sehnte nach Vergebung mich und Gnade.
„Das Lastkamel dort,“ sagte Gabriel
Und wies mit ausgestrecktem Arm auf eins,
Das etwa vierzig Schritte vor uns ging,
„es trägt in jener Kiste, länglich und
Aus Zedernholz, die Überreste Fatmes.“
„So ist sie unbestattet noch?“ Ich war
Mit Fug entsetzt, denn trotz der Morgenfrühe
Schien doch die Sonne heiss auf uns herab.
„Sei unbesorgt,“ sprach der Sidonier, „wir
Bedachten dies und riefen einen Arzt,
Der mit Balsam und Öl sie hat getränkt,
So dass sie unverweslich ruht im Sarg.“
„Und welches ist das Ziel? Wo soll sie hin?
Warum habt ihr sie nicht in Nazareth,
Dem Brauche folgend, umgehend bestattet?“
„Weil sie, bevor sie starb, uns angefleht,
Wir möchten sie nicht in derselben Erde
Zu liegen zwingen, wo ihr Mörder liegt.
Am liebsten kehrte sie als Tote heim
Ans Horn von Afrika, woher sie stammt.“
„So wollen wir ihr diesen Wunsch erfüllen,“
Sprach ich voll Dankbarkeit und in der Hoffnung,
Mein Schuldgefühl ein wenig abzutragen,
Spornte mein Tier, bis Seit an Seite ich
Mit jenem ritt, drauf Fatmes Sarkophag
Mit hanfnen Seilen sorgsam war vertäut.
Und hingegeben dem Gefühl der Reue,
Das mit der Trauer um die Tote sich
Verband zu Zorn auf meine Wenigkeit,
Liess ich die harte Faust auf meine Brust
Von neuem und von neuem niederfallen,
Gebete richtend an den Einzigen,
Der ebenso gerecht wie mitleidsvoll.

16 Sandsturm

Da ich von Ewigkeit zu Ewigkeit,
Ja, ausserhalb der Zeit und über ihr
Als ein Subjekt, für euch unfassbar, wese,
Das nicht verschwindet, wenn ein Teil von ihm
Auf einen Menschen sich zusammenzieht,
Vermochte ich, geteilt in Gott und Mensch,
Das Beten Ibrahims, sprich meiner selbst,
In meinem Innersten leis zu vernehmen.
Obgleich ich willens war, in Freud und Leid
Des Menschendaseins ihn zu tunken, griff
Doch seine Reue auf mich über, und,
Obgleich ich ungern breche die Gesetze,
Die selber ich verordnet der Natur,
Beschloss ich, Übels Wurzel auszureissen,
Und schickte, als die Karawane sich
Jenseits von Kades durch die Wüste wand,
Den grossen roten Sandsturm, den Samum.

*

Als Ibrahim hab ich mich gut erinnert
An manches fürchterliche Wetter, das
Auf meinen Reisen ich bestanden hatte:
An den Monsun im fernen Gangesland,
An des Schirokko prickelnd heisse Böen,
Windhosen sah ich wandern übers Meer,
Schiffsmasten knickend, als wärn sie von Stroh,
Doch einen Sandorkan wie diesen, der
In Tonnen feinsten Staubes uns begrub,
Den hatte ich noch nicht erlebt. Und als
Ich mich hervorgewühlt aus dürrer Düne,
Die über meinem Tier und mir sich hob,
Sah ich rund dreissig Dünen dieser Art,
Und unter wenigen nur regt’ sich Leben.
Mit Gabriel, der auch hervor sich quälte,
Grub ich zwei weitre Männer aus, und sie
Noch mal zwei weitere, jedoch wir sechs
Warn so entkräftet, dass wir niedersanken
Im festen Glauben, unser Ende nahe.
Den Mund voll Sand, die Ohren und die Nase
Vom Sonnenglast rosinengleich gedörrt,
Verlangte uns nach einem nur: nach Wasser,
Jedoch die Vorräte waren erschöpft,
Kein Brunnen war in Sicht, und die Gewässer,
Die silbern auf dem Horizonte blinkten,
Der uns in einer Klarheit rings umzirkte,
Als hätts die rote Hölle nie gegeben,
Warn Scheingebilde, die uns narrten, nur.
So brach die Nacht herein, statt von der Sonne
Warn von Gestirnepracht wir überfunkelt.
Wie gern hätt ihrem Glanze ich gehuldigt
Und staunend mich gefragt nach ihrer Zahl,
Nach ihrem Ursprung, nach dem Ziel der Welt,
Nach Gott und seinem ungeheuren Geist,
Der hier der frommen Seele sich enthüllt,
Jedoch der Durst gestattete mirs nicht,
Erfüllte mich mit wütender Begierde
Allein nach Wasser und mit Todesangst.
Doch sank ich langsam in betäubtes Dämmern,
Sah vor dem innern Auge Hände, die
So schlank, so zart warn wie von Königinnen
Und die mir Wein und Wasser stellten hin.
Am frühen Morgen weckte mich die Kälte,
Die mir durchdrang das schlotternde Gebein,
Und dann kam einer auf mich zugekrochen,
Ein Messer zwischen den gebleckten Zähnen.
Ich stellte schlafend mich – da holt’ er aus
Und hätte mirs tief in die Kehl gestossen,
Hätt ich ihn nicht, die Füsse bäumend, weg-,
Zurück- und in den Sand gestossen, wo
Es mir ein Leichtes war, ihn festzuhalten.
Mein alter Freund wars aus der Wassergasse,
Der sich um Gnade flehend, unter mir
Wand hin und her, die Lippen voller Schaum.
Was für ein elend Wesen ist der Mensch,
Dass in der Not er sich davor nicht scheut,
Am Blut des eignen Nächsten sich zu letzen!
Das Messer nahm ich ihm und warf es fort.
Dann folgt ich Gabriel, den ich gewahrte,
Wie in der Ferne er mit langen Schritten
Der aufgehenden Sonn entgegenging.

17 Der Brunnen

„Was ist dein Ziel?“ frug ich den Eilenden,
Den nur mit Müh ich einzuholn vermochte.
Da wies er vor sich auf den Boden hin,
Wo eine Spur, wie mit dem Lineal
Gezogen bis zur Kimm, gab Rätsel auf.
„So gradaus geht nur, wer ‘nen Brunnen weiss,“
Hat Gabriel mehr geraschelt als gesagt,
Denn seine Zung war trocken wie Papyrus.
Wir folgten dieser Spur mit letzter Kraft,
Und immer, wenn sich einer von uns beiden
Wollt fallen lassen, um im Sand zu ruhn,
Hielt ihn davon der andre eisern ab.
Ein schräger Balken fern am Horizont
Gerade dort, wohin die Spur verlief,
Verkündete uns dann, dass in der Tat
Des Wassers Labsal uns erwartete -
Und nicht nur das – es stand dort die Gestalt,
Auf deren Spur wir hergewandelt waren.
Sie hatte uns den Rücken zugewandt -
Und voller Grauen sahn wir Lumpen an
Dem schlanken Leibe hängen, ölgetränkt -
Die Fetzen warn es eines Leichenhemds.
Gab es denn das: die Toten stehen auf?
Hatte der Sandsturm Fatme auferweckt?
Wir fürchteten, dass sie sich dumpf und dürr
Wie aus dem Jenseits an uns wenden würde -
Doch da ertönte ihre Stimme mit
All ihrem Schmelz und einer Kehligkeit,
Die an Frau Mirjams süsse Sprache mahnte:
„Habt keine Angst, ich leb, es geht mir gut!“
Und wandt sich um und war so frisch und jung,
So voller Anmut, dass ich sagen darf:
Sie hatte sich im Todesschlaf erfrischt,
Und von den Wunden sah man keine Spur.
Sie reichte uns ein irdenes Gefäss,
Gefüllt mit trübem Wasser bis zum Rand,
Das uns, obgleich es alt und brackig war,
Geschmeckt hat wie der beste Cyperwein.
„Der Toten Seelen sind ubiquitär,“
Sprach sie mit reizender Gelehrsamkeit,
„weshalb ich Grüsse euch aus Nazareth
Von meines Geistes Schwester Mirjam bring:
Sie ist nun schwanger, doch ihr Bräutigam,
Der alte Schreiner, hat Bedenken, sie
In diesem Zustand bei sich aufzunehmen.
Sie fürchtet Schande, fleht um Hilfe euch
Und Beistand an, weil einen Vater doch
Nach aussen hin das Kindlein haben soll.“
Das war der Notfall! Plötzlich ward ich inne,
Wer ich in Wirklichkeit, wer Gabriel war.
Die blosse Einsicht aber liess ihm die
Gewalt’gen Flügel aus den Schultern brechen,
Mit denen er sich rauschend hurtig hob
Und stob zurück nach Nazareth, um dort
Berichtigend und heilsam einzugreifen.
Ich aber wanderte mit Fatme fort,
Bis in ein Beduinendorf wir kamen,
Wo ich sie kleidete, Kamele kaufte
Und mit ihr ritt ins Zweistromland hinüber,
Ehrwürd’ge Wiege frühen Menschentums.
Auf diesem Wege habe ich entdeckt,
Was wohl das Schönste ist an einer Frau.
O, Fatmes Antlitz, es war wunderschön,
Da Anmut, Geist, Humor darin vereint,
Und alles kraftvoll war, voll Glanz und stark.
Ihr Busen, ach, wie süss er war! Da wär
Ich Säugling auf der Stelle gern geworden.
Und ihre Hüften – was für eine Wiege,
Um drin zu bilden neue Existenz!
Die Hände – welche Anmut, Nervigkeit -
Sie waren klein, doch fest und schön im Griff.
Und ihre Füsse, schlank und eloquent,
Was red ich da – ich fange an zu faseln!
Das Edelste an ihr jedoch, das waren die
Kraftvollen Schultern. Ich gestehe, sie,
Die Schultern Fatmes, davon eine nur
An meiner spüren – o, das war das Glück!
Dies Weib an meiner Seite – und mit ihr
Bestehn des Lebens mannigfachen Kampf...
In welcher Einsamkeit hause ich hier
O, ihre Schulter an der meinen! Was
Ist wohl so schön, wie Seit an Seit
Mit einer starken Frau durchs Leben gehn?!
Wie einsam bin ich jetzt, zurückgestülpt
In meines Daseins wüste Negation,
Mit wieviel Sehnsucht denk ich dieser Schulter,
An der ich einmal innerlich fand Ruh.
Den Namen Kameradin gab ich ihr,
Und dieser Name ist der höchste, den
Der Mann dem Weibe, das er liebt, verleiht.

18 Das Rote Meer

Ich will die mannigfachen Wege, die
Mit Fatme ich durchmass, die Abenteuer,
Die ich mit ihr bestand, mir selbst erzählen,
Von des Erinnerns süssem Schatze zehrend,
Wenn ich in Einsamkeit und Nacht versink,
Was manches Mal im ungeheuren Raum,
In dem die Sonnen sich wie Staub verlieren,
Mit mir geschieht. Wir hatten glücklich
Ein Schiff bestiegen, das nach Süden fuhr
Durchs Meer hinab, das ich für Mose einst
Habe geteilt, den Durchzug ihm eröffnend
Und jenen Kindern Israel, die ich,
Dem Vater gleich, der alle seine Kinder
Liebt gleichermassen, doch auf einem ruht
Sein Auge mit Entzücken, und er klagt
Sich dessen an – die ich, ja, ich gestehs,
Besonders hab geliebt! Doch haben sie
Die zehn Gebote, die ich ihnen gab,
Um einen Wust von Regeln aufgebläht,
Den list’ge Priester ausgeklügelt haben,
Mit seiner Hilfe das einst stolze Volk
Zu schlagen in die Bande eitlen Rechts.
Von ihnen sondern sich seit Jahren ab
Die Stämme jenes Volkes, das sich wie
Kein andres drauf versteht, das Land der Dürre,
Für Handel und Basare zu erschliessen,
Auf dem vorzeiten Bärlappwälder wogten,
Die, hingesunken, schwarze Kohle wurden
Und unterm Druck gewaltiger Geschiebe
Sich wandelten in schwarzen Naphtas Kraft.
O, es gefiel mir gut, dem Machtbereich
Des selbstbesessnen röm’schen Imperators,
Dem auch Ägypten jüngst zum Opfer fiel,
Auf einer braunen Dschunke zu entkommen,
Die sich auf salz’ger Well gemächlich wiegte.
Wie manches Mal stand an der Reeling ich,
Erfüllt von dunkler Sehnsucht nach mir selbst
Und innerlich gespalten in den Mann,
Den ich zu spielen hier noch war gehalten,
Und in mein eigentliches, fernes Ich,
Das selbstvergessen mit sich selber spielte.
Nach römischem Kalender wars der März,
In dem ich mich zur Erd hinabgeschwungen,
Jetzt aber ging es auf November schon,
Und meine Sendung nahte sich dem Ende.
So stand ich wieder einmal, sah verzückt
Im Wasser ries’ge Rochen, Vögeln gleich,
Mit majestätischer Bewegung schweben,
Und pries den Schöpfer solcher Lebenswunder.
Da hörte ich es rauschen in der Luft,
Und eh ich mich versah, stand Gabriel,
Mein liebster Diener, lachend neben mir.
„Ich komme Herr, um dich zurückzuholen,“
Sprach er zu mir mit freundlicher Verbeugung,
Den Kaufmann spielend in sidon’scher Tracht.
„Der Weltenlenker hat sich nun genug
In menschliche Geschäfte eingemischt
Und wird benötigt an dem einz’gen Ort,
Von wo aus er das Ganze überblickt,
Das Ganze steuert und das Ganze ist.“
„Sag mir zuerst: Hast Mirjam du geholfen?
Hat sie der Schreiner doch zu sich genommen?“
„O ja, Herr, denn er ist so fromm wie gut,
Ein braver und auch ein gerechter Mann.
Als er gehört, wer Vater ist des Kinds,
Nahm er in Demut auf sich sein Geschick
Und wird dem Kind ein guter Vater sein.“
„Und Mirjams Ruf nahm keinen Schaden?“ „Nein,
Im Gegenteil, die ganze Wassergasse,
Ja, Nazareth ist voll Bewunderung:
Der Schreiner schwört, er hab sie nie berührt,
Und Mirjam sagt (und niemand zweifelt dran),
Dass sie von keinem Manne wisse. So
Hat die Legende sich verbreitet, sie
Sei Jungfrau und das Kind von Gottes Geist.“
„Sie müsste schon im achten Monat sein...“
„O ja, das ist sie, und sie wandelt schwer,
Ja, wie ein Schiff zieht ihres Weges sie,
Das hochbeladen ist mit kostbarn Gütern.“
„Und achtet sie, dass ihr nichts zustösst?“ „Nein!
Der Zensus, den der Kaiser hat verfügt,
Zwingt jedermann, zu gehen in die Stadt,
Der er entstammt. Und unser Zimmermann...“
„Du meinst den Schreiner?“ „Nun, soviel ich weiss,
Versteht ers auch, das Balkenwerk zu fügen,
Ja, sogar Fässer baut mit Dauben er.
Der Schreiner, er muss ziehen in den Ort,
Wo er geboren ward, nach Bethlehem,
Und als sein jetzt auch angetrautes Weib,
Begleitet Mirjam ihn auf Esels Rücken.“
In diesem Augenblick erschütterte
Ein fürchterlicher Stoss das leichte Schiff,
Das auf der Rechten sich emporhob und
Uns in die Fluten warf, aus denen sich
Freund Gabriel alsbald erhob, jedoch
Ich war nur Mensch und kämpfte um mein Leben.
Das salz’ge Wasser drang mir in die Lung,
Ich hustete und prustete und schrie,
Doch dann verlor ich mählich das Bewusstsein,
Sank schaudernd nassem Tode in die Arme,
Der mich, doch ich vergass es, hätt zurück
Geführt in meine wahre Existenz.

19 Der Scheich

Aus tiefem Traum, in dem sich Aureolen
Verschlangen miteinander zu Geflechten
Von Sternenstrudeln, kosmogon’schen Blasen,
In dem auch meine allerliebsten Kinder,
Die Tlaxcalön vom dritten Morgennebel
Mit Blicken mich durchbohrten, wissenden,
Von denen ich mich völlig sah durchschaut,
Aus diesem Traum erwachend, glaubte ich
Zurückgekehrt zu sein zu mir, jedoch
Das zärtlich lächelnde Gesicht von Fatme
Belehrte mich, dass Mensch ich annoch war.
„Wir sind gerettet, doch nur um den Preis
Dass wir Gefangne wurden jenes Stammes,
Der über diesen Teil der Küste herrscht.
Sie wollen ein erklecklich Lösegeld,
Seit sie gesehen, dass mir in den Arm
Das Zeichen einer Königin gebrannt,
Woraus sie schliessen, dass von edlem Blut
Auch du bist, lieber Reisekamerad,
Zumal sie deinen Beutel gut gefüllt
Und deine Hände heil gefunden haben,
Von schwerer Arbeit völlig unberührt.
Doch trink von diesem Tee aus Pfefferminz,
Er wird die Lebensgeister dir erfrischen!“
Was hätte ich darauf erwidern sollen?
Dass dieses Händepaar die Welt erschuf?
Nun, ich war Ibrahim und deshalb froh,
Im Leben mich, im wechselvollen vor-
Und in der Obhut dieser Frau zu finden,
In deren Schoss mein Kopf gebettet lag
Und nicht begehrte, je ihn zu verlassen.
„Nach Eritrea nimmt der Kapitän
Unseres Schiffs, das keinen Schaden nahm,
Die Fordrung mit des Beduinenstamms.
Ich hoffe, dass du mich nicht tadelst, dass
Ich deinen Namen hier dem Scheich verriet,
Der nach Damaskus Boten hat entsandt,
Auf dass sie sehen, welches Lösegeld
Zu zahlen wär bereit dein edler Clan.“
Nun fuhr ich doch empor aus ihrem Schoss,
Weil ich mit Schrecken sah: Das Doppelspiel,
Das ich hier trieb, es würde sich sehr bald,
Nur allzu bald als solches ihr enthüllen.
Mit welchem Staunen würde Ibrahim,
Der wahre in Damaskus, es vernehmen,
Dass er gefangen sei am Roten Meer,
Mit welchem Hohn die Boten heimwärts schicken!
Ich musste dringend darauf sinnen, wie
Ich aus der selbstgeknüpften Schling mich zog.
Wie sollte ich ertragen, dass die Frau,
An deren Schulter ich so gern gelehnt,
Sich hintergangen sah von mir, getäuscht?
Drum war ich froh, als ernster Miene jetzt
Ein Mann im Burnus trat zum Zelt herein.
Das unmerkliche Lächeln um den Mund
Enthüllte ihn als einen, der geherrscht
Und viele Menschenleben hat geformt.
Des Auges Ruh und weiter Blick jedoch
Erwies ihn als erfahrnen Wüstenmann.
Er setzte sich, und feierliches Schweigen
Bereitete gesetztes Reden vor.
„Ich grüsse dich, o Kaufmann Ibrahim,“
Sprach er zu mir und stellte dann sich vor:
„Mein Nam ist Mustapha, und dieses Land
Gehört dem alten Stamme Koraïsch.
Wir nähren uns von Fischerei und Raub
Sowie vom Handel mit Weihrauch und Öl,
Dazu vom Lösegeld, das man uns zahlt,
Für jene, die in unsre Hände fallen,
Und führen Krieg mit allen Nachbarstämmen,
Die andern Göttern huldigen als wir.“
Vielgötterei in diesem noblen Land –
Sie hatte mich, ich sag es grad heraus,
Schon immer eh’r befremdet als gestört;
Denn in der Wüste wie auch auf dem Meer
Scheint mir die Einzigkeit des Schöpfergotts,
Gespiegelt in der Einheit dieser Welt,
Auch dem beschränkten Sinne einzuleuchten,
Weshalb ich Mustapha erwiderte:
„Ihr Beduinen seid ein edles Volk,
Das, wenn es sich auf seine Kraft besänne,
Unwiderstehlich wäre in der Welt.
Warum vergeudet ihr, Stamm gegen Stamm,
Die unerschöpften Kräfte eures Bluts?
Ach, käme einer, der zu einen euch
Und einen einz’gen Gott zu geben wüsste,
Ich weiss es wohl, dass unter eurem Schritt
Die Welt erzittern würd von Pol zu Pol.“
„O, du sprichst aus, du fremder Rätselmann,
Was ich in den geheimsten Herzensfalten
Mir oftmals denk und nicht zu sagen wag.
Ach, hätt ich einen Sohn, dem auf den Weg
Ich diese Hoffnung in die Zukunft geben,
Den ich zu meinem Denken könnt erziehn!“
In Tränen brach hier Scheich Mustapha aus,
Die er mit Turbans Zipfel hat getrocknet.
„Du bist noch jung, und ich verspreche dir,
Nicht einen, sondern viele Söhne wirst
Du einst die deinen nennen. Sei getrost,
Und stell dein Trachten in den Dienst des einen
Gerechten, Gütigen, Erbarmenden!“
Er griff nach meiner Hand, umfasste sie,
Sah mir ins Aug so unverwandt wie froh,
Verbeugte sich dann tief vor Fatme und
Sprach diese Worte: „Grosser Ibrahim,
Der Edelmut, mit dem du diese Frau
Gerettet hast aus schlimmster Sklaverei
Und sie geleitest in ihr Heimatland,
Lässt fast als einen Engel dich erscheinen.
Nicht weniger ist Fatme engelhaft,
Von einer Schönheit, die, mit Kraft gestählt,
In Leiden ward gehärtet und vergütet,
Und sie ist, wie aus ihren Worten ich
Zu schliessen wage, unverehelicht.
Ich bin verwitwet schon seit vielen Jahren,
Und darum bitt ich dich um Fatmes Hand.“
„Da ich ihr Vater nicht noch Bruder bin,
Bin ich der Meinung, dass sie selbst entscheide,
Doch vorher sag uns noch: Das Lösegeld,
Soll es zu zahlen sein in jedem Fall?“
„Um Himmels Willen – o, ich schäme mich,
Dass ich so eilig war. Ich sende gleich
Noch Boten hinterher, dass sie die andren
Zur Umkehr bringen durch Befehl von mir.“
Hier nun hat Fatme selbst sich eingemischt,
Und leicht errötend sagte sie die Worte:
„Gönn eine Nacht mir, Mustapha. Bedenken
Muss ich den Schritt, und lieber möchte ich,
Dass die Familie zahlt, als unbedacht
Erneut mich unterwerfen fremder Macht.“

20 Abschied

Noch einmal lehnte meine Schulter fest
Sich an die ihre, als in dieser Nacht
Das Für und Wider der Verehelichung
Mit Mustapha von uns erörtert ward.
Doch immer wieder strandeten wir an
Derselben Frage: Liebte er sie denn,
Ja, würde er sie achten auch noch dann,
Wenn das Begehren eines Tags verflog?
In eines Öllichts Schimmer flatterten
Die Schatten unsrer Köpfe hin und her
Und schienen manchmal beinah zu verschmelzen.
Da schob sich eine Hand ganz langsam in
Des Zeltes Türspalt, öffnete ihn, und
Alsbald stand vor uns der Sidonier
In seines Purpurmantels blut’ger Pracht,
Begrüsste Fatme, die als altem Freund
Ihm freudig bot den schönen Mund zum Kuss.
Doch hat er bald bemerkt, wie schweigsam wir
Beschäftigt waren mit Entscheidungsdingen,
Weshalb er sprach die klugen Worte: „Falls
Ihr euch noch fragt, ob jener Mustapha,
In dessen Hände ihr gefallen seid,
Verdient die Liebe einer edlen Frau,
Kommt mit und folgt mir vor das Zelt hinaus!“
Das taten wir und wanderten ein Stück
Durch dunkle Nacht, von Sternen überzittert.
Da hörten plötzlich eine Stimme wir,
Die voller Qual zum Himmel scholl hinauf:
„Warum hast du mit Liebe mich erfüllt,
Da ich doch selber Liebe nicht verdiene!
War ich nicht grausam oft? Hat mich die Gier
Nach Gold nicht allzu sehr beherrscht? Warum
Schickst übern Weg du mir der Klugheit Hort,
Der Anmut Schmuck, die Krone aller Frauen,
Zu einem Zeitpunkt, wo ich viel zu alt,
Um ihre Lieb mit Anstand zu verdienen?“
Nun sahen wir den Mann am Boden knien
Und sich den Busen mit den Fäusten schlagen,
Wobei er voller Demut blickte auf
Zu jener Sternenfülle, die mit Milch
Und Gottessamen Dichtermund verglich:
„Ja, strafe mich, du Allgewaltiger,
Der seinesgleichen in der Welt nicht hat,
Du bist gerecht, und ich vertraue dir
Mein Leben und mein Schicksal freudig an.“
Da unsre Augen sich ans milde Licht
Der fernen Sonnen hatten angepasst,
Sah ich sehr gut, wie Fatme Tränen von
Den bogenförmig weichen Wimpern rollten.
Ich nahm sie bei der Hand und führte sie
Zu dem Erschreckenden: „Ihr seid wahrhaftig,
Ihr beiden Menschen, für einand bestimmt.
Ihr werdet glücklich miteinander werden,
Und euerm Stamme soll entspriessen einst
Der Einiger der beduin’schen Völker
Und Künder des gewaltig einen Gotts!“
Wir haben lange Abschied noch genommen
Und konnten nicht genug uns tun, mit Worten
Und Zärtlichkeiten zu versichern, wie
Voll Lieb und Achtung unsre Herzen wären
Des einen für die andre und so fort.
Doch irgendwann wird alles Sprechen schal,
Und Mustapha, wir sahn es mit Vergnügen,
War sehr erpicht, sich Fatmes zu erfreun,
Weshalb wir in der Morgenfrühe gern
Zwei elegante schnelle Dromedare
Bestiegen haben und nach Mekka ritten,
Wo wir von einem schwarzen Steine, den
Die Kraft hierhergeworfen, fuhren auf
In jenen Himmel, den sich zum Symbol
Der Ewigkeit erkoren hat der Mensch.

finis operis

(c) Dietrich Feldhausen 1999

e-mail: d.feldhausen[at]quoth.de

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