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Matthias Claudius
15.8.1740 in Reinfeld/Holstein -
21.1.1815 in Hamburg

  • um 1755 Lateinschule in Pöln
  • 1759-62 Student in Jena
  • 1763 erste Veröffentlichung: Tändeleien und Erzählungen
  • 1771-75 Redakteur des Wandsbecker Boten
  • 15.3.1772 Heirat mit Anna Rebeca Behn (geb.1754), leben in Wandsbeck
    Kinder:
    Maria Caroline Elisabeth (1774), Christiane Marie Auguste (1775-96), Anna Friederike Petrine (1777), Auguste (1779), Johanna Catharina Henriette (1781), Johannes (1783), Rebecca (1784), Matthias (1786-88), Fritz (1789), Ernst (1792), Franz (1794)
  • 1774 Subskriptionsanzeige der Sämtlichen Werke (Asmus omnia sua secum portans) / 1775: Teil I + II / 1778: Teil III / 1783: Teil IV / 1790 Teil V / 1798: Teil VI / 1803: Teil VII / 1812: Teil VIII
  • 1812 Mitarbeit an Friedrich Schlegels Deutschem Museum
  • 1813/14 Flucht vor den Kriegswirren: Kiel, Lübeck
  • 21.1.1815 in Hamburg gestorben
  • 26.7.1832 Tod von Anna Rebecca Claudius in Wandsbeck
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Inhalt

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Matthias Claudius in einer Selbstkarrikatur

Kriegslied

's ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
....Und rede du darein!
's ist leider Krieg - und ich begehre
....Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
....Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
....Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
....Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
....In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
....So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
....Wehklagten uber mich?

Wenn Hunger, böse Seuch' und ihre Nöten
....Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammleten, und mir zu Ehren krähten
....Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron' und Land und Gold und Ehre?
....Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg - und ich begehre
....Nicht schuld daran zu sein!

1778

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An den Tod
An meinem Geburtstage

Laß mich, Tod, laß mich noch leben! —
Sollt ich auch wenig nur nützen,
Werd ich doch weniger schaden,
Als die im Fürstenschoß sitzen
Und üble Anschläge geben,
Und Völkerfluch auf sich laden;
Als die da Rechte verdrehen,
Statt nach den Rechten zu sehen;
Als die da Buße verkünden,
Und häufen Sünden auf Sünden;
Als die da Kranken zu heilen,
Schädliche Mittel erteilen;
Als die da Kriegern befehlen,
Und grausam ihnen befehlen;
Der Helden Kriegskunst nichts nützen,
Um Länder weise zu schützen.
Tod, wenn sich diese nicht bessern,
Nimm sie aus Häusern und Schlössern!
Und wenn du sie nun genommen,
Dann Tod, dann sei mir willkommen.

1773

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Den Sinn- und Wiedergeburtsfreaks ins Stammbuch: Der Mensch

Empfangen und genähret
....Vom Weibe wunderbar
Kömmt er und sieht und höret,
....Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret,
....Und bringt sein Tränlein dar;
Verachtet, und verehret;
....Hat Freude, und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
....Hält Nichts, und Alles wahr;
Erbauet, und zerstöret;
....Und quält sich immerdar;
Schläft, wachet, wächst, und zehret;
....Trägt braun und graues Haar etc.
Und alles dieses währet,
....Wenn‘s hoch kommt, achtzig Jahr.
Denn legt er sich zu seinen Vätern nieder,
Und er kömmt nimmer wieder.

(1783)

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Christiane

Es stand ein Sternlein am Himmel,
....Ein Sternlein guter Art;
Das tät so lieblich scheinen,
....So lieblich und so zart!

Ich wußte seine Stelle
....Am Himmel, wo es stand;
Trat abends vor die Schwelle,
....Und suchte, bis ich‘s fand;

Und blieb denn lange stehen,
....Hatt große Freud in mir:
Das Sternlein anzusehen;
....Und dankte Gott dafür.

Das Sternlein ist verschwunden;
....ich suche hin und her
Wo ich es sonst gefunden,
....Und find es nun nicht mehr.

Auf den Tod von Claudius' zweiter Tochter Christiane, die am 2.7.1796 mit 21 Jahren an "Nervenfieber" (Typhus) starb.
Das Lied wurde unter dem Titel "Der verschwundene Stern" in "Des Knaben Wunderhorn" aufgenommen.
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Vgl. "Täglicher Abendgesang" von
Paul Gerhardt (1607-1676)
Abendlied

Der Mond ist aufgegangen
Die goldnen Sternlein prangen
....Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
....Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
....So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
....Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen? -
Er ist nur halb zu sehen,
....Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
....Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
....Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste,
Und suchen viele Künste,
....Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
....Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
....Wie Kinder fromm und fröhlich sein!

...............................*

Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
....Durch einen sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
....Du unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
....Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
....Und unsern kranken Nachbar auch!

1779

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Das meinte Johann Wolfgang Goethe zu Claudius
(5. Oktober 1787an Herder, Italienische Reise):
Mit den Genannten [Claudius, Lavater, Jacobi] war unser Verhältniß nur ein gutmüthiger Waffenstillstand von beiden Seiten, ich habe das wohl gewußt, nur was werden kann, kann werden. Es wird immer weitere Entfernung und endlich, wenn‘s recht gut geht, leise, lose Trennung werden. Der eine [Claudius] ist ein Narr, der voller Einfaltsprätensionen steckt. «meine Mutter hat Gänse» singt sich mit bequemerer Naivetät als ein: «Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr.»
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... und das Karl Kraus (Januar 1917 in: Die Fackel): Von einem der allergrößten deutschen Dichter, Matthias Claudius... hier einiges, zur Mahnung, in welcher Zeit wir leben. (Sollte ein Volk, dem ein solcher Dichter verschollen ist, das ihn im Lesebuch begraben hat und so von ihm weglebt, nicht reif für Zwangsarbeit sein?)
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